Durch den umfassenden Rückbau im Innenraum und die Vielzahl der Durchbrüche, die wir aktuell in unserem Haus neu schaffen, bekommen wir Einblick in die verschiedenen Bauperioden unseres Hauses. Als Zeitzeugnis von fast 100 Jahren nimmt uns das Haus mit auf seine ganz eigene Reise.
Gebaut 1926 wurde z.B. in unseren Wänden auch Naturstein verbaut. Die hohe Druckfestigkeit des Steins wurde vor allem im Keller und in den Wänden des Erdgeschosses geschätzt. Darüber findet sich eine konstruktionsoptimierte Holz-Ziegel-Verbundbauweise, die ein schnelles Bauen zuließ. Die Ziegel, die mit reduzierter Verbundwirkung arbeiten, sind jedoch auch ein Grund für den Spannungsriss in unserer Fassade im Treppenhaus.
Durch die verschiedenen Bauantragsunterlagen aus den Jahrzehnten danach wissen wir darüber hinaus, dass sowohl in den 60er Jahren als auch Ende der 90er Jahre an unserem Haus umgebaut wurde. In den 60er Jahren wurde der Balkon zu Wohnraum umgewandelt. In den 90er Jahren kam ein Bad im Erdgeschoss hinzu.
Und auch die Nutzer haben uns den einen oder anderen Hinweis direkt hinterlassen – z.B. auf der zur Garderobe umgebauten Tür im Obergeschoss aus den 80er Jahren. Ähnlich wurden auch Farbanstriche im Innenraum hinter der Ablufthaube in der Küche aus den 2000er Jahren vermerkt.

Unser Haus ist also über eine lange Zeit immer wieder gewartet und instandgehalten worden.
Die Zeitung von Heute
Nicht bekannt waren uns Maßnahmen aus den 40er Jahren. Dass diese aber stattgefunden haben, dessen konnten wir uns an diesem Wochenende durch ein Zeitzeugnis vergewissern. Denn innerhalb der Decke zwischen Erdgeschoss und Obergeschoss haben wir Zeitungen gefunden. Unter anderem die Eberstädter Nachrichten vom 10. Dezember 1949.
Nur zur Erinnerung: Die Bundesrepublik Deutschland wurde am 23. Mai 1949 in den drei westlichen Besatzungszonen gegründet. Der „Musikhit“ des letzten Jahres war noch „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien„. Und die D-Mark ist zu diesem Zeitpunkt gerade mal ein Jahr alt.


Kern der Nachrichten ist die Wohnraumschau – eine Ausstellung, in der die Qualitäten des sozialen Wohnungsbaus gezeigt werden und in der neue Technologien angepriesen werden. Hier gibt es ebenso neue Heizungen wie Haushaltsgeräte. In der Tombola kann man ein Radio gewinnen.
Die Inhalte unseres Zeitzeugnis-Fundstückes sind gar nicht so weit entfernt von dem, was man heutzutage in Zeitungen lesen kann. Klar ist die Sprache eine andere. Aber auch hier geht es um Baubedarf und Flächenmangel. Wie heute auch in den Ballungsräumen Deutschlands. Natürlich auch hier aufgrund völlig anderer Gründe. Bemerkenswert ist es aber schon. Denn zu beiden Zeiten kann man gefühlten Mangel erkennen. Nur dass für uns dieser Mangel auf einem ganz anderen Niveau ansetzt. Das heutige Leben in friedlichem Wohlstand ist ein Privileg, dessen man sich immer bewusst sein sollte.
Hoffnungen einlösen
Welche Schlüsse man daraus ziehen kann? Sicher, dass dieses Privileg Wertschätzung erfahren sollte. In Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Das Wohl im Sinne der Allgemeinheit versuchen wir dabei persönlich auf unterschiedliche Arten einlösen. Beispielhaft einige uns wichtige Punkte:
- Durch den Erhalt und die Weiterentwicklung der Baukultur. Denn in unserem Quartier sind die Siedlerhäuser prägend und schaffen so eine lokale Identität.
- Durch hohe Behaglichkeit und Schadstoffarmut im Innenraum. Denn gesundes Wohnen ermöglicht sowohl reduzierte Belastungen für Sozialsicherungssysteme als auch die Werthaltigkeit des eigentlichen Objekts.
- Durch schonenden Umgang mit den lokalen Ressourcen. Wir werden möglichst viel unseres Gebäudes weiter nutzen und bei den neu eingebauten Bauteilen möglichst viele Baustoffe wiederverwenden.
- Durch die Objektpflege. Denn gepflegte Objekte und gepflegte Gärten stützen die positive Wertentwicklung aller Gebäude eines Quartiers.
- Durch die bilanzielle Emissionsfreiheit. Wir werden unser Haus zu einem Plus-Energie-Gebäude entwickeln.
- Durch die Erzeugung regenerativer Energie, mit der wir die Energiewende befördern wollen.
- Durch räumliche Öffnung des Garten zum Straßenraum, denn der bisherige Raum ist abweisend und hat nur eine geringe Aufenthaltsqualität.
Das alles wirkt natürlich nur im Kleinen und ist nur unser bescheidener Beitrag zu einer Gesamtentwicklung. Aber es ist ein Beitrag für die Zukunft. Eine Zukunft, von der auch wir uns noch viel erhoffen.